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27.10.2023

Biodynamische Landwirtschaft und Hybridsorten

Ruth Richter

Vom 5. bis 8. Oktober hat die Naturwissenschaftliche Sektion am Goetheanum zusammen mit der Sektion für Landwirtschaft eine Fachkonferenz zum Thema «Biodynamische Landwirtschaft und Hybridsorten» veranstaltet. Fast hundert Menschen fanden sich ein, die alle von diesem Thema unmittelbar betroffen sind: Anbauer, Züchterinnen, Ernährungsfachleute, Vertreter des Handels und Konsumenten.

Dass der enorme ökonomische Druck, der viele kleine und mittlere Höfe zum Aufgeben zwingt, auch vor den biodynamischen Gemüseanbauern nicht haltmacht, ist bekannt. Dass viele von ihnen unter diesem Druck expandiert und für den Grosshandel F1-Hybriden zu produzieren begonnen haben, ist weniger bekannt. Sie können bei einigen Gemüsearten nicht auf den grossen Züchtungsfortschritt verzichten, den Hybridsorten aus der modernen Züchtung auf dem Feld bieten. Der biodynamischen Gemüsezüchtung, die seit einem halben Jahrhundert zunächst von wenigen Initianten betrieben wurde und sich heute auf viele Züchtende verteilt, ist es gelungen, bei den wichtigsten Gemüsearten eine stattliche Anzahl von offen abblühenden Sorten zur Verfügung zu stellen. Aber – wie ein Anbauer am zweiten Tag der Konferenz erzählte – auch wenn seine Hofgemeinschaft von dieser Art der Züchtung überzeugt ist, samenfeste Sorten vermehrt und sogar selbst einige gezüchtet hat, kann sie im Anbau für den Grosshandel nicht auf die Eigenschaften der F1-Hybriden verzichten: gleichzeitige Abreife, einheitliche Grösse, mehr Ertrag und zahlreiche Resistenzen gegen Krankheiten. Eine Anbauerin mit ungefähr der gleichen Betriebsgrösse konnte dagegen berichten, dass es bei ihnen gelungen ist, Gemüse aus samenfesten Sorten an lokale Läden, Abokisten und auch an zwei Grossabnehmer zu verkaufen. Ein Schwerpunkt lag hier auf der Kommunikation mit den KundInnen, die direkt erfuhren, dass und wie der Anbau von biodynamisch gezüchtetem Saatgut mehr Aufwand und Betreuung und somit einen Aufpreis erfordert. So kann dieser Betrieb gut überleben.

Warum ist das nicht bei allen möglich? Das Gute an dieser Veranstaltung war, dass niemand ablenken konnte mit der einfachen Antwort, das liege am bösen, geldgierigen Handel. Denn auch der Handel sass mit am Tisch, z.B. Sascha Damaschun vom Grosshandel Bodan. Er zeigte auf, wie auch hier die Margen extrem eng sind und das Überleben der Läden ungewiss ist. Grosse Bemühungen um die Kommunikation des Mehrwertes von biodynamisch gezüchteten Sorten bei Einzelhändlern haben dazu geführt, dass die Demeter-Betriebe im Bodenseegebiet immerhin 20% samenfeste Sorten verwenden können. Aber die grosse Aufgabe, auf jedem Kilo verkauftem Gemüse einen Aufpreis für die Züchtung zu realisieren, ist noch nicht gelungen, obwohl dies eines der obersten Ziele dieses Unternehmens ist. Theo Boon berichtete von der Handelskette Odin in den Niederlanden, die verschiedenste Modelle der Kundenbeteiligung realisiert. Damit sucht sie die Anliegen der Biozüchtung ebenfalls zu fördern – mit bescheidenem, in kleinen Schritten wachsendem Erfolg. Alles deutet darauf hin, dass wir es mit einem Prozess zu tun haben, der Mühe hat sich durchzusetzen und nur langsam vorankommt.

Das bedeutet eine Abhängigkeit der biodynamischen Bewegung von den grossen Saatgutkonzernen. Und es bedeutet auch, dass genau an diese Konzerne mithilfe des biodynamischen Anbaus jährlich ca. 50 Mio. Euro fliessen. Es verwundert nicht, dass die Hybridzüchtung in der Bewegung einen schlechten Ruf hat: seit Jahrzehnten sind Hybridsorten mit dem Feindbild der Laborzüchtung und der Grosskonzerne verbunden. Und den Früchten der F1-Hybriden dieser Firmen wurde vielfach mit ganzheitlichen Methoden eine schlechte Nahrungsqualität attestiert.

Dass einige wenige biodynamische Züchter bei Mais und Zuckermais entschieden haben, auf die Bedürfnisse der professionellen Anbauer einzugehen, indem sie unter biodynamischen Bedingungen die Methode der Hybridzüchtung anwenden, liess letztere in einem ganz neuen Licht erscheinen. Bei dieser Methode wird eine Population in Linien aufgefächert und das erlaube – so berichteten die ZüchterInnen –, ein umfassenderes und gleichzeitig präzises Bild der Pflanze zu erarbeiten. In dieser intensiveren Auseinandersetzung mit der Art versuchen die ZüchterInnen die Interaktion zwischen Pflanze und Boden zu verstehen und gleichzeitig mit den biodynamischen Pflegemassnahmen die Lernfähigkeit der Pflanzen zu fördern, so wie das in der Züchtung der samenfesten Sorten auch praktiziert wird.

Könnte es auch eine andere, neue Hybridzüchtung geben, die hilft die Abhängigkeit von den Saatgutkonzernen zu verringern? Diese Frage stand im Raum und führte zu teils heftigen Diskussionen. Erfreulicherweise aber blieb die Stimmung im Wesentlichen freundlich und achtsam. Das Gespräch soll in einem über den deutschen Sprachraum hinausreichenden Kreis fortgesetzt werden.