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29.03.2022

Ein neuer HORTUS-Leuchtturm: Die Nachtkerze

Unser Verein ist weiterhin für das schweizerische Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) dafür zuständig, den Regenerationsanbau aller Saatgutposten (sog. Akzessionen) von Aroma- und Medizinalpflanzen durchzuführen, die in der Nationalen Genbank in Changins/VD eingelagert sind. Dabei soll gleichzeitig auch die Erhaltungswürdigkeit dieser Akzessionen beurteilt werden.

Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen (NAP) hat HORTUS bereits drei grössere Projekte durchgeführt (das dritte wird in diesem Jahr abgeschlossen). Nun verbleiben in der Genbank noch 153 Akzessionen aus der Gattung der Nachtkerzen (Oenothera) mit nicht weniger als 42 verschiedenen Arten! Diese stammen aus einem in den 1990er Jahren durchgeführten Züchtungsprojekt. Das BLW hat uns beauftragt, diese botanisch komplexe Sammlung nachzubauen und ihren Wert für die weitere Erhaltung zu beurteilen.

Da wir sowohl wegen der Kreuzungsverhältnisse wie auch vom Arbeitsaufwand her pro Jahr nicht mehr als 16 verschiedene Varianten anbauen können, ist das Projekt, für das Nicole Söll und Nora Hils tätig sein werden, bis 2030 veranlagt.

Wir werden uns demnach in den kommenden 9 Jahren intensiv mit der Gattung Oenothera in ihren verschiedenen Ausprägungen beschäftigen und an dieser Stelle regelmässig darüber berichten.

Als Einstieg für unsere Leserinnen und Leser und zur eigenen Beschäftigung mit dieser spannenden Pflanzenart, haben wir von der Malerin Aurora Mächler die Erlaubnis erhalten, eines ihrer Nachtkerzen-Bilder sowie ihre Beschreibung der Pflanze im Jahrelauf hier zu veröffentlichen.

Die Nachtkerze

Bild und Text: Aurora Mächler

Als wunderbar gewachsener Blätterstern ist ab Oktober ihre Rosette zu entdecken: Lanzettliche Blätter in verschiedenen Grössen, satt dunkelgrün, leicht gezähnt, am Blattrand kräftig rot, die Blattadern in hellem Gelb. So überdauert dieser Stern fast unversehrt alle Wintertage.

Im Frühling wachsen in der Sternmitte noch ein paar zusätzliche Blätter. Später wächst ein Stengel empor, nimmt die neuen Blätter mit in die Höhe, nach oben immer kleinere. Es können bis zu 15 beblätterte Stengel aus einer Rosette sprossen, wobei der Haupttrieb deutlich höher bleibt. Beim Hochwachsen werden neue kleine Blätter gebildet. Ausser bei den 5 unteren Blättern wächst in jeder Blattachse eine Blütenknospe.

Vor der Abenddämmerung werden jeweils ab Johanni einige Blüten leuchtend gelb geöffnet, innerhalb von wenigen Minuten. Die hellen Hüllblätter falten sich nach unten. So erblüht die Pflanze von unten nach oben. Ein starker süss-staubiger Duft zieht Nachtfalter an. In den hellen Röhrchen unterhalb der 4 Blütenblätter befindet sich reichlich Nektar. Der Griffel ragt als weisses Kreuz aus der Blüte. Am Morgen kommen dann die Bienen und sammeln hellgelben Pollenstaub. Unterhalb des Röhrchens bildet sich – bereits zu Beginn des Blühens veranlagt – als grüner Becher der Samenstand. Die beige-braune Samenkapsel springt erst 2-3 Monate später von oben nach unten her auf, ein helles, deckelartiges Stück wird abgesprengt, dann verstreuen sich die Samen, die in 4 Röhrchen aufgereiht sind.

An heissen Tagen verwelken schon am Nachmittag die Blumenblätter, bei trübem Wetter halten sie einen Tag länger. Die alte Blume hängt orange am Becher und fällt bald zu Boden. Zuoberst wächst der Spross aber noch weiter und bildet neue Blätter und Blüten. Aus den unteren Blattachseln können neue Triebe mit Blüten entstehen. Auch kann nach einer Nasswetterzeit ein erneutes Spriessen an den Endknospen erscheinen und so können alte Samenstände und neue Blüten sich bis zum stärkeren Frost nebeneinander zeigen.

Oenothera biennis blüht und gedeiht in der heilenden Ruhe der Nacht. Sie ernährt dabei die Tierwelt der Dunkelheit.

Quelle: «Ärzte-Bauern-Kalender 2022/23» von Aurora und Markus Mächler, Hof Bölsberg, CH-4232 Fehren.