
30.03.2024
Für die Biodiversität von morgen
Beate Schierscher Viret
Die Arbeiten zur Erhaltung der genetischen Ressourcen haben in der Schweiz um 1900 begonnen. In jener Epoche haben die Forscher der Eidgenössischen Anstalt für landwirtschaftliche Versuche von Mont Calme (Lausanne) lokale Sorten von Weizen und Gerste gesammelt. Aus diesen lokalen Populationen haben sie Sorten mit besseren Leistungen ausgewählt. Alle diese Sorten wurden in der Genbank aufbewahrt. Die älteste, noch verfügbare Weizensorte in dieser Sammlung datiert von 1900. Es handelt sich um die Sorte «Rouge de Gruyère», welche in einem Feld in Morlon, nahe bei Bulle (Martinet 1931) gefunden worden war. Eine andere Sorte, la «Nonette de Lausanne», ist im Jahre 1880 im Buch «Die besten Weizen» (Vimorin-Andrieux) beschrieben worden. Dieser begrannte Weizen (Triticum turgidum L. subsp. turgidum), wurde damals verbreitet in Europa angebaut und ist bis heute noch verfügbar.
Gene langfristig erhalten und vor Katastrophen schützen
In einer Genbank wird Pflanzenmaterial gesammelt, gelagert, erhalten, vermehrt und beschrieben, um es langfristig aufzubewahren und um die genetischen Ressourcen der wichtigsten Kulturpflanzen zur Verfügung zu stellen. Am Standort Changins konserviert Agroscope das Saatgut mittelfristig in Kühlräumen bei 4 °C. Für eine langfristige Lagerung wird es bei -20 °C tiefgekühlt. Auf internationaler Ebene bietet die Svalbard Global Seed Vault in Norwegen auf Spitzbergen eine sichere Aufbewahrung für Duplikate von genetischen Ressourcen anderer Genbanken an. Die Schweiz schickt, wie viele andere Länder auch, Material nach Norwegen und wird in Zukunft diesen Saatgut-Tresor in Svalbard weiter vervollständigen.

Nationale Genbank in Changins
Die Aufgabe der nationalen Genbank von Agroscope ist es, die über 10 085 alten und modernen Pflanzensorten in Form von Saatgut zu konservieren und zur Verfügung zu stellen. Sie umfasst verschiedene Getreidesorten: Weizen (>6500), Triticale (846), Dinkel (2284), Gerste (866), Roggen (62), sowie einige Emmer, Einkorn, Hafer und Wildgetreide. Daneben gibt es auch Mais (413), eine grosse Gemüsesortensammlung (900), Soja (54), Ackerbohnen (50), Mohn (46) und einige andere Industriepflanzen. Die schweizer Dinkelsammlung ist zweifellos die grösste weltweit.
Aroma- und Medizinalpflanzen
Seit 2003 beherbergt die Genbank auch 317 Medizinal- und Aromapflanzensorten von über 50 botanischen Arten, welche im Rahmen von Projekten durch Mediplant (Forschungsinstitut für Aroma- und Medizinalpflanzen in Conthey, Wallis) gesammelt wurden. Diese Projekte wurden im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (NAP-PGREL) durch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) unterstützt. Da diese Samen nun ein gewisses Alter haben und damit sie auch weiterhin lebensfähig sind, wurden und werden sie seit einigen Jahren durch Hortus officinarum vermehrt und gleichzeitig auch beschrieben. Von jedem neu vermehrten Samenposten, schicken wir Samen nach Svalbard zur langfristigen Einlagerung in den Saatgut-Tresor. So lagern bereits seit 2020 37 Aroma- und Medizinalpflanzen auf Spitzbergen.
Wertvolles Genmaterial
Alte Landsorten sind darum äusserst wertvoll, weil sie bisweilen sehr interessantes Genmaterial aufweisen, wie z. B. eine Schwarzrost-Resistenz bei Gerste, eine Fusariose-Resistenz bei Dinkel oder Maisgene für gute Jugendentwicklung bei Kälte. Die Landsorten, die über interessante Gene verfügen, werden in aktuelle Züchtungsprogramme aufgenommen, damit sie ihre Eigenschaften an modernere Sorten weitergeben können. Bei den Medizinalpflanzen konnte von Hortus aus einigen in Changins eingelagerten Akzessionen eine Hypericum perforatum-Sorte (siehe Titelbild) mit einer guten Toleranz gegen die Johanniskrautwelke (Colletotrichum cf. gloeosporioides) gezüchtet werden.
«Ribelmais»
«Ribelmais» stellt für die Nutzung das beste Beispiel dar. Er wird seit Jahrhunderten im Rheintal angebaut und wurde mit einem AOC-Label ausgezeichnet. Bis heute wurden 85 Ribelmais-Sorten erfasst und erhalten.
Weizen «Rouge de Gruyère»
Die Weizensorte «Rouge de Gruyère», die 1900 erfasst wurde und seither in der Genbank von Agroscope in Changins verfügbar ist, baut man heute wegen ihres Strohs erneut an, das seit etwa zwanzig Jahren wieder zum Flechten benutzt wird. Auch für die Produktion regionaler Spezialitäten ist ein wachsendes Interesse an Weizen-Landsorten festzustellen.