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25.10.2024

Ilmar Randuja

6.9.1926 – 18.9.2024


Text von Andreas Ellenberger

Nach einem „wirkensreichen und erfüllten Leben“ – wie es in der Todesanzeige treffend hiess – ist Ilmar Randuja am 18. September 2024 kurz nach seinem 98. Geburtstag im Alters- und Pflegeheim Rüttihubelbad verstorben. Er ist auf vielfältige Art mit der Entstehung und dem Gedeihen von Hortus officinarum verbunden. Wir alle, die vor ziemlich genau 17 Jahren die Hortus-Initiative ins Leben gerufen haben, verdanken der Begegnung mit diesem ausserordentlichen Menschen einen grossen Teil unseres Enthusiasmus, unserer fachlichen Kenntnisse und unseres Verantwortungsgefühls für die biologisch-dynamische Saatgutarbeit.

Ilmar war einer der 12 Teilnehmenden bei der Gründungsversammlung des Vereins im Gartenhaus der Wala in der Pfingstzeit 2008 und wurde bei dieser Gelegenheit wie selbstverständlich zum Ehrenmitglied ernannt.

Ilmar Randuja

Bild: Ilmar Randuja beim Sieben und Abwehen (Saatgutkurs 2015)

Ein sprechendes Beispiel, wie er sich mit den Zielsetzungen unserer jungen Initiative verband, sind die Kommentare, mit denen er den Fragebogen einer Vorstandsklausur von Januar 2012 ergänzte. Mit kleinster, aber gut leserlicher Handschrift verwies er auf Neues, auf Wichtigstes, worum es bei diesem Vorhaben gehen könnte, lesen Sie gern hier.

Bei zwei kurzen Saatgutkursen, die 2013 und 2015 von Hortus am Rüttihubelbad durchgeführt wurden, zeigte er noch einmal sein fachliches und praktisches Können.

Seine reiche und teilweise abenteuerliche Biografie ist von Michaela Spaar zu einem lebhaften Lebensbild zusammengetragen worden1.

Eine glückliche Kindheit in Deutschland, die Auswanderung der Familie nach Estland, als man in Deutschland nicht mehr glücklich sein konnte, der unstillbare Lernhunger der Jugendjahre, die dramatischen Erlebnisse bei der Flucht zurück nach Deutschland. Dann das Hineinwachsen in die biologisch-dynamische Gärtnerei mit dem bewusst gewählten Schwerpunkt der Saatgutpflege; enorme Arbeitsleistungen an der Ita Wegman Klinik in Arlesheim und ab 1974, zusammen mit seiner Frau Ursula, am thurgauischen Ekkharthof, wo die Züchtungs- und Vermehrungstätigkeit ihren Höhepunkt und die grösste Ausstrahlung bekam. Mit über sechzig Jahren dann eine weitere Pionierleistung im neu geschaffenen Kulturwerk Rüttihubelbad, dem Ilmar mit der Landschaftsgestaltung und dem Aufbau eines vielseitigen Garten- und Verarbeitungsbetriebs einen sehr persönlichen Stempel aufdrückte. 

Dass sich der vielseitig Begabte einer gärtnerischen und pflanzenzüchterischen Lebensaufgabe zuwenden sollte, stand nicht von vornherein fest. Technische und künstlerische Lebensentwürfe hatten sich auch angeboten. Aber eine Episode aus Ilmars Jugendzeit im fernen Estland mag zur späteren Wahl beigetragen haben: Mit etwa vierzehn Jahren verschlang Ilmar eine Biografie von Luther Burbank, dem „Hexenmeister von Amerika“. Der legendäre amerikanische Pflanzenzüchter lebte von 1849 bis 1926, also bis etwa ein halbes Jahr vor Ilmars Geburt. Ilmar berichtete gerne über die damalige Lektüre, z.B. wie Luther Burbank im Laufschritt durch seine riesigen Pflanzschulen gerannt sei und links und rechts die besten Exemplare ausgelesen habe. Auch habe er die Samen von Pflanzen, die er für die Weiterzüchtung verwenden wollte, in seiner Brusttasche herumgetragen, sie also buchstäblich ans Herz genommen und ihnen gut zugeredet.

Solche Bilder waren Weg-weisend, auch wenn es noch fast 20 Jahre ging, bis Ilmar, nach einer gründlichen Ausbildung in verschiedenen Zuchtbetrieben und einem Abschluss an der Fachhochschule Osnabrück, selber als Gärtner an der Ita Wegman-Klinik in Arlesheim seine ersten Züchtungsversuche unternahm.

Als Gärtner und Züchter konnte er in der Nachkriegszeit noch auf eine reiche Auswahl an zuverlässigen alten Gemüse-, Kräuter- und Blumensorten zurückgreifen. Das Vertrauen in das Potential dieser Sorten war so gross, dass für Ilmar die Auslesezüchtung nach Vilmorin die Methode der Wahl war und auch weiterhin das Leitbild für seine züchterische Arbeit blieb. Die Erfolge der moderneren Züchtungsmethoden hat er wohlwollend wahrgenommen, aber nie als echten Fortschritt im Sinne einer Evolution der Pflanzenwelt betrachtet.

Ilmar Randuja

Hortus steht mit dem Schwerpunkt bei den Heil- und Wildpflanzen weniger unter dem Druck „Hochleistungssorten“ hervorzubringen als die heutigen GemüsezüchterInnen. Bei den allermeisten Heilpflanzenarten profitieren wir auch heute noch von einem erfreulichen Vorrat an bewährten Herkünften, so dass sich Hortus – nach Ilmars Vorbild – fast ausschliesslich auf die Auslesezüchtung abstützen kann.

Ilmar hatte gerade im späteren Alter die Möglichkeit, seine Beziehung zu den Pflanzen noch ganz entscheidend zu vertiefen. Sehr bewegt berichtete er einigen von uns, dass er – erst etwa im Jahr 2017 – die Lichtgestalt der Pflanzen habe wahrnehmen können.

Zweifellos war es dieses intensive innere Suchen, das ihn impulsierte, noch mit 90 Jahren unermüdlich in seinem Pflanzgarten tätig zu sein. Es ging jetzt nicht mehr um neue Sorten, auch wenn die zwei Dutzend Salate und Tomatenstöcke weiterhin „bonitiert“ und mit farbigen Stöcken und weissen Bändern versehen wurden; es ging um ein praktisch-konkretes Erkenntnis-Tasten am eigentlichen Wesen seiner Pfleglinge. Besonders glücklich war Ilmar, als er vor einigen Jahren in den Weihnachts-Vorträgen von 1924 die Hinweise Rudolf Steiners entdeckte, wie die Pflanzenwelt aus dem Menschen heraus entstanden sei und wie sie in späteren Zeiten der Entwicklung wieder in den Menschen zurückkehren werde. Was für eine Aufgabe für den Menschen, was für eine tiefe Verantwortung ergibt sich daraus für den Züchter! Wird in dieser fernen Zukunft eine harmonische, gestärkte, ja glückliche Pflanzenwelt vorgefunden, oder müssen „wir“ ein ausgehöhltes, verdrehtes Pflanzenwesen wieder in uns aufnehmen?

Die letzten vier Jahre verbrachte Ilmar in einem sonnigen Zimmer im Alters- und Pflegeheim des Rüttihubelbad. Hier durfte er sich endlich etwas verwöhnen lassen. Er hatte viel Besuch und erstaunte alle durch seine geistige Präsenz, sein herzliches Interesse am Andern, seine Dankbarkeit und seinen Frohmut.

Im Vertrauen auf ein Unsterbliches im Menschen und ein Weiterwirken in anderen Formen, blicken wir dankbar auf das Leben von Ilmar Randuja zurück, und dürfen uns bemühen, offen zu sein für zukünftige Inspirationen.  

 

1 Spaar, Michaela. Ilmar Randuja – Ein Leben für die biologisch-dynamische Saatgutzüchtung. Liestal 2017, 84 Seiten, ISBN 978-3-9524758-1-2, CHF 10.-